Die verlorene Traumfrau


Bei nicht Inanspruchnahme der Stunden -
erhält man den Tag zurück ?


20.05.04

Sie hat sich die Frauen angesehen - die Vergrämten, die Verkümmerten, die Zaghaften und Selbstbewußten - und hat versucht, sich vorzustellen wie oft sie in jahrzehntelangen Versuchen bemüht waren, ihre Gedanken einzuordnen, wenn sie mit schroffen Gesten einfach beiseite geschoben wurden, nichts zu erwidern wußten, wenn ihnen Worte verdreht herum abgeschnitten wurden, um an unbestimmten Schatten festgenagelt zu werden.
Ihr ganzes Leben ist eine einzige trostlose Pfütze, in der sie herum blubbern. Und sie fühlt von allen ein Stück in sich, und weiß, daß von ihr ein Stück all der Gefühle und Empfindungen in allen ist. Und, daß mit den einsamen Tagen, die gehen, jedesmal ein Stück ihrer Herzen geht. Der Teil von ihr, der ihre Grenzen überschreitet, der ihrem Körper ohne Zutun innewohnt, durchströmt sie wie ein Fluß in seinem Bette - und sie verlöre sich gern im Wissen, sich wiederzufinden ...
  Auf der Suche nach dem Sinn des Seins, stößt sie immer wieder auf ihre eigenen Unzulänglichkeiten; was bedeutet, daß die Fragen sie täglich bedrängen, so daß sie niemals voranzukommen scheint.
Die Strapazen haben sie psychisch und physisch zu sehr belastet. Sie kann sich aus ihrer Erschöpfung nicht heraus arbeiten, sinkt immer tiefer hinein in Stunden, die wie Perlenketten in ihren Händen zerreißen und wie dünnes Gläserklingen in Vergessen hüllt.
Aus der Erschöpfung mit dem Gefühl der Entwurzelung, treibt Hektik Raubbau mit ihrem Körper, Hektik, die ihrer inneren Überzeugung nicht entspricht.
Mit Sorgfalt versucht sie, ihre Gedanken zu ordnen, aber die Nacht verschlingt die zerstörenden Spuren von ihrem Antlitz . . und für einen kurzen Augenblick hat sie das Gefühl, etwas von sich zu begreifen.
  Aber wieder streut sein zürnendes Lächeln Rauhreif in ihr Herz, ihre Tränen werden Ernte aus Eis.
Mit seinem flüchtigen Atem im Nacken, schreitet sie das Längenmaß ihrer Gefühle ab, und hüpft kurzatmig über den Teil von ihm, der noch in ihr schwimmt ...
Sie beschließt, nicht mehr sein zu wollen, wie er sie sieht und wirft ihm ihren blutenden Mund ins Gesicht, reißt den Hoffnungsbaum, den sie einst in Zuversicht pflanzte, heraus: denn leider war wahr, was sie wußte, und was sie hoffte war nicht. So lernt sie, die Wahrheit zu sagen, ihre Gefühle und Empfindungen zu äußern, sich auszudrücken, sich anzunehmen; lernt, daß Scham nur ein Gedanke fremder Gedanken ist; lernt, sie zu sein, damit sie auch ihn richtig sieht. Und, daß auch die Lüge zum Leben gehört, wie das Gefühl des Versagens, die Unruhe einer Konsequenz ihrer Gedankenlosigkeit, der Kampf mit dem, was sie will, sich ersehnt, sich wünscht, aber nie zu sagen traute; der Versuch also, ihr begehbares Ich nicht länger zu verleugnen.

Sie atmet tief durch, wächst, erwacht, spürt, wie die Maske aller unaustauschbaren Gedanken zerspringt und das Gefühl der Entfremdung mit der Phantasie aus der Wirklichkeit vertreibt , wie zwei aneinander vorbeigehende Horizonte: das Leben als Wassertropfen, unsichtbare Spur auf den Wellen des Ozeans tanzend.
Er streicht ihre Bewegung aus, drückt sie zu einem Fragezeichen zusammen. Wenn er seine Stärke hervor kehrt, die sie so sehr haßt, schlüpft sie in ihre Hilflosigkeit, und das Gefühl des Alleinseins unter dem Daumen, der sein "Eigentum" schnell vom Sockel des Selbstbewußtseins in ein dunkles Loch unter einer Luke zurück zu drücken weiß.
Mit immer neuen Ansätzen, unendlich langsam, bis aus dem wachsenden Keim der Hoffnung ein "wenig" größeres Selbstwertgefühl heranwächst, weiß sie zwar, daß die Luke immer wieder rücksichtslos zuschlagen wird, aber auch, daß sie sich nach jedem Daumendruck eine größere Öffnung sägen wird. Das hat etwas von Rache und Niederträchtigkeit die sich in ihr sträuben, aber auch die wachsende Ansicht, daß nicht falsch sein kann, was sie als richtig empfindet.

Sein Schopf zerschneidet die Sonnenstrahlen, die wie ein Kristallkelch in der Gardine hängen.
Während er unruhig den Raum zerteilt, wirft er sie in seinen Armen zu einem verspäteten Tanz hin und her, der mit der zerronnenen Zeit Regenwolken zerpflückt, um deren Trauer zu ergründen, die sich in zerrissenes Lachen der Zeit weben. Sie wünscht sich, er würde ihr Weinen wiegen, dann keimten Blüten des Glücks in ihren Herzen. Aber sie kehren nur Scherben zusammen, kitten, werfen um, sitzen lauernd hinter Mauern der Resignation, helfen sich gegenseitig ihre Emotionen in die Enge zu treiben; dem Festhalten am Laufband, das nur für ein paar ständig sich wiederholende Bewegungen reicht. Und sie suchen die Ruhe in sich, jeder auf seine Weise: - hinter allem, was sie macht, muß seiner Meinung nach ein Sinn stecken - nicht, was ihr sinnvoll erscheint, nein, was er als sinnvoll erachtet - wenn er sie nur abbringen kann, zurückhalten.. Wenn er nur auf seinen Verboten thront, wie auf einem geschliffenen Schwert. Und sie gleiten aus Tagen des Wartens ohne Nähe, an Strickleitern aus Eis in die Nacht.
Sie hätte gern seinen Arm gedrückt, ihre Finger auf sein Gesicht gelegt oder in die Ärmel geschoben, ganz hinauf, um sie in das Weich der Oberarme zu drücken, aber sie kann das Sterben der Gefühle nicht aufhalten, das Auseinanderfallen beider Zukunft.
So muß sie auch ihre Gedanken einschränken und klein halten, einwickeln in Vorwände, die keine Anzeichen von Gedanken tragen. Und sie hat das Sprechen verlernt. Fremd schreiten die Tage an ihnen vorbei und sie fragt sich, ob sie bei nicht Inanspruchnahme der Stunden, die verlorenen Tage zurück erhalten.
Sie geht durch ihr Inneres spazieren, dabei hängt sie schöne Gedanken an die Wände ihrer Seele; aber auch dieser Tag ertrinkt wieder im Blut der Verletzlichkeit.
  In den kleinen Freiheiten der Zuwiderhandlungen wühlt sie, Aufsässigkeiten: den Raum um sich erweitern . . .
Aber die Zeituhr ist immer so eingestellt, daß zwischen Wunsch, Bedürfnis und Wirklichkeit die Zeit nie stimmt - - - - - und die endgültig nie endgültigen Entscheidungen fließen wie grüne und blaue Seide über honiggelbe Wünsche.


Zum Seitenanfang Zur nächsten Geschichte