Eine Traumgeschichte, Teil 3

"Sie sammelt ihre bösen Gedanken, streut sie um sich, dass sie sich als dunkle Wolken niederlassen!" sagt eine Frau erschrocken, und alle weichen entsetzt zurück.
"Was mag sie so verändert haben...? Wie konnte sich in dem bösen Weib einst ein so liebes Geschöpf verbergen?"

Eines Tages bemerkte sie ein Fältchen um den Mund und unter den Augen, so ein Unscheinbares, aber für sie alles Vernichtende. Sie sann nun auf alle möglichen Dinge, das Ausbreiten der hässlichen Fältchen zu verhindern, und begann aufgeregt alle Vorübergehenden zu fragen, was sie dagegen tun könne. Eine alte Frau riet ihr, es als naturgegeben hinzunehmen.
"Du bist alt und hässlich, du hast lange schon kein Recht mehr zu leben!" beschimpfte sie die Alte.
Die Alte fühlte sich durch die grausamen Worte keineswegs verletzt: "Du wirst sehen, dass es kein Mittel auf der ganzen Welt gibt, Schönheit. Aber leider vergeht sie auch so schnell, wie die schönste Blüte einmal verwelkt, der schönste Sonnentag in Regen endet, oder die herrlichste Mondnacht sich in ein Nebelmeer verwandeln kann."

Die schöne Frau ließ sich nun sogar dazu herab, durch die Straßen zum Haus ihrer Mutter zu laufen. Verzweifelt rief sie nach ihr, dass der Name schrill von den Wänden zurückhallte. Als sie ein paar Stufen emporstieg, endeten diese plötzlich irgendwo in der Luft. Dann gewahrte sie mit Entsetzen, dass die Wände steil ins Unendliche hinaufglitten und übersät mit unzähligen Türen waren, unter denen Treppenstufen wirr herausragten.

Die Rose, dachte sie, die Rose! Und hetzte atemlos in ihren Garten zurück.

Die Rose aber vermisste mittlerweile die singenden und flatternden Vögel, den Mond und die Sterne, die Sonne, die vorübergehenden freundlichen Menschen, die sie mit ihrem Anblick und Duft täglich erfreut hatte. Sie streckte sich weit empor, um zu genießen, was sie seit langem so sehr vermisste: Bewunderung.

Aber die Leute beachteten sie nicht mehr, eilten gleichgültig und abwesend, mit anderem beschäftigt, vorüber.
Glücklich, hoch aufgerichtet drängt es sie durch’s Dach, mit unwiderstehlicher Begierde nach Leben.
Wer und was sollte sie jetzt noch zurückhalten?
Hatte sie doch ihr unsinniges Verhalten, dem all die schrecklichen Auswirkungen folgten, erkannt. Soviel kostbare Zeit damit vertan. Hochmut, Stolz, all die anderen untrennbar damit verbundenen Eigenschaften.
Darüber vergaß sie beinahe, wie wundervoll ihre Bescheidenheit sie schmückte.
Taumelnd und verschwenderisch trank sie vom lang entbehrten Sonnenschein, erglühte vor Glück, dass sie endlich wieder Bienen in sich aufnehmen konnte.

Verärgert, voll zerspringenden Neids zupfte die Schöne sogleich ein Blütenblatt heraus, wobei sie erbost schrie: "Warum leidet deine Schönheit nicht!"

"Was du sagst, ist längst geschehen, nichts kann neben dir bestehen!" wisperte das herausgerissene Rosenblatt, welches unversehens als beflecktes Papierblatt aus dem Blütenschaft herauswuchs. Und bescheiden fügte sie hinzu: "Das Wunder meiner Schönheit nehme ich von nun an gelassen hin, freue mich und gebe mein Bestes, ohne auf ewiges, unverwüstliches Leben zu hoffen. Jetzt blühe ich, und jetzt versprühe ich Schönheit und Duft. Alle Menschen sollen sich meiner erfreuen. Verwelke ich, werde ich drum nicht weniger geliebt. Nur Narren wünschen sich ewiges Leben und ewige Schönheit."


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