ONKEL OTTIS TÖTEN ALLE ROTEN MEISEN


Eine Traumgeschichte, Teil 4

Ottilie

Tante Ottilie spielt eine untergeordnete Rolle, sie wispert sowieso nur immer gluckernd: "A-hach-u-huch- nu-hun..." und Onkel Otti triumphiert, als sie alle angerannt kommen. Alle sind sie da, rennen herum mit ihren Wäsche- und Geschirrbergen, geraten in Panik, erschöpft vom ewigen "auf dem abgebrochenen Ast" sitzen. Drehn sich , drehn sich, und ihre Welt ist zu Ende, wo die ausgestreckten Arme aufhören.
Sie rennen, und ich besinne mich, daß ich ja auch rennen muß. Und die Männer rennen in ihre Ecken, drehn sich da im Kreis. Wir stimmen ein Lied an, singen alle einen anderen Text .....
Und daß wir alle nur Reisende mit begrenztem Gepäck auf einem winzigen Boot im Universum sind, fällt uns plötzlich schmerzlich ein.
   Ich roll gewaschenes Haar auf, setz mich in bleiche Sonne. Politik, sage ich, Politik – was ist das?
Mein Gummiband drückt, und Hunger hab ich.
"Mein Gedächtnis ist gut", sagt Tante Ottilie, und beginnt in ihrer Erinnerung nach ein paar vergessenen Gedanken zu schürfen. Mittlerweile trage ich den Aschenkasten hinaus.
Dem großen Hund, der sich mir freundlich grinsend entgegenstellt, begegne ich erst mit Zögern, gehe dann mit weit ausholenden festen Schritten an ihm vorbei. Er begleitet mich, hockt dann erwartungsvoll neben mir vor dem Herd, in dessen Glut ich herum stochere, die ich durch kräftiges Pusten noch mehr anfache, und mir ist, als wäre er glücklich über mein Tun, über mich, über die Glut, über die Asche, die fein durch den Rost rieselt, und ganz einfach glücklich über sein Dabeisein, unser Stillsein, unser nach Beieinander sein.
Gelebtes, ungelebtes Leben – ungelebtes, gelebtes Leben. "Politik?" , sagt Tante Ottilie grob: "Politik ist ein elastischer Diätenkanon, und Enge im Blechtopf!"
"Oh, Tante Ottilie", sage ich fröhlich und denke an die steigenden Lebenshaltungskosten und an die weichen, braunen Äpfel von innen, die fast wie Mehl im Mund zerbröseln und schmecken, als wären sie in verdünntem Wasser gezüchtet. Tante Ottilie weiß doch mehr!
Sie wendet sich zum Gehen. Streift mit katzenhaften Bewegungen ihre Haut ab, die sie achtlos hinter sich her schleift .....
Verwundert sieht Onkel Otti die Blutspur, die sich vor ihren Füßen auszubreiten beginnt, an den Wänden empor steigt und sich über ihr an der Decke mit den Schritten Stück für Stück zu einem Ring zusammenschließt – bis sie sich lautlos im Dunkel der Tür auflöst ...


Zum Seitenanfang