Eine Traumgeschichte, Teil 2

Sie begann die Leute zu verachten, die ihr keinerlei Beachtung schenkten, dann die, die sie unverhohlen anglotzten; denn ganz allmählich erwachte Stolz und Hochmut in ihr.

Die Leute aber, deren Herzen sie erquickte, verstanden nicht was es war, das sie unfreundlicher und garstig werden ließ. Ihre einstige Freundlichkeit verlor sich zunächst allmählich, bis sie es nicht mehr der Mühe für wert hielt, einen Gruß über den Zaun zu rufen.

Im Gegenteil, sie ertrug die Menschen nicht, die alle so unausstehlich hässlich aussahen. So begann ihre Herablassung weiter und weiter zu wachsen, dass ihre Freundinnen, Freunde, ja sogar Eltern und Geschwister, Mann und Kinder sich abwandten.

"Niemand kann sich mit uns messen!" sagte sie stolz zur Rose.
"Was für eine Schöpfung, die die Sterne schuf, um sich in deinen Augen widerzuspiegeln", antwortete die Rose beglückt, "schwarzer Samt, übersät mit grobem Zucker!"

Eines Morgens setzte sich ein zutraulicher Spatz bei der Fütterung auf ihre Hand.
"Igitt!" rief sie angewidert und rannte ins Haus, holte eine Tasche voll vergifteter Körner, die sie jetzt den Spatzen, Drosseln und all den anderen unnützen Vögeln gab.
Beim Anblick der Verendeten kleinen Körper, klatschte sie freudig in die Hände und rief: "Ich dulde nichts Hässliches neben mir und der Rose! Alles, alles, alles verbanne ich hiermit aus meinem Garten!"
Da musste die Rose ja auch hochmütig werden, die nun stolz verkündete: "Nur du bist es wert, mich anzusehen!"

Und ihrer beider Hochmut wuchs und wuchs, dass sie sogar die Nächte mit dem wechselnden Mond, die alle Farben aus ihnen stahlen, auszusperren begannen.
Damit die Nacht sich nicht länger heimlich im Gesträuch verbarg, ließ sie ein großes Dach über den Garten spannen.

"Das ist die Leere, die sich in ihr ausbreitet", flüsterten die Leute betreten, "sie verliert sich und die menschlichen Ziele immer mehr aus den Augen!"

So trug es sich zu, dass niemand mehr vor dem Garten stehen blieb, niemand mehr einen Blick hinüberwarf.
Wer es dennoch heimlich tat (nur um mal eben zu sehen, was sich dort weiter zum Bösen – vielleicht ja auch wieder zum Guten ändern würde), musste feststellen, dass sich nun auch die Singvögel, welche den Anschlag überlebten, zurückgezogen hatten.
"Sicher hat sie die auch vergiftet!" vermuteten die Leute entsetzt.
Verlassen, wie tot lag alles da. Es erschien den Leuten sogar, als hinge beständig eine große dunkle Wolke über dem, was einst so licht und strahlend war.


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