ONKEL OTTIS TÖTEN ALLE ROTEN MEISEN


Eine Traumgeschichte, Teil 2

Merkwürdige dicke Flugzeuge mit kurzen Flügeln, fliegen in Zweierformationen in zwei dafür vorgesehene Öffnungen am Himmel. Mitten am Himmel ist etwas befestigt, was mich an Gitter vor Heizsonnen erinnert. Ich überlege, warum der Himmel weiß ist, und wieso etwas befestigt werden kann, wo er doch keine feste Masse ist. Schlagartig weiß ich, daß dahinter etwas zum Befestigen ist, wo auch die Wolken befestigt werden, aber schon glaube ich, mich zu täuschen. Hinter den ovalen Öffnungen erkenne ich neben unebenen Rändern Stücke, die wie Holzluken zurückgezogen werden, damit die merkwürdigen dicken Flugzeuge in die hellblau schimmernde Unendlichkeit eintauchen können.
   Und ich nehme die Gelegenheit, mit einem außerordentlich komplizierten Fotoapparat zu fotografieren, gleich wahr. Es ist dunkel, ich habe Greta Garbo im Sucher, nackt, an der Taille erkenne ich sie. Leute schleppen Tische herbei. Aber die Zahl einhundert, die ich einstellen muß, schnellt auf einer magnetischen Armatur immer wieder blitzschnell zurück.
   Geduldig stehe ich mit meinem großen weißen, gepflegten Hund an der Straße, warte, gehe auf und ab, verharre, aber der Mann erscheint nicht. Zwischen den Häuserfronten beobachte ich das bunte Treiben eines Wochenmarktes. Die Sorge um meinen großen schwarzen, kranken Hund überfällt mich jäh. Mir fällt das Loch im Buschwerk neben dem hohen schmiedeeisernen Tor ein. Ich eile nach Hause, päpple wieder an ihm herum, schleppe ihn, versuche, ihn aufrecht hinzustellen, aber er sackt jedesmal wieder in sich zusammen.
   Dann steigt der Mann über umgestürzte Mauern eines Hauses, reicht mir dicke Seile, mit denen wir gemeinsam versuchen, die Wände hochzuziehen. Anschließend füllt er Korn in kleine Gläser, von denen seines einen zierlichen Henkel hat, und wir trinken albern, während ich meinen Kopf gegen seinen Kragen lehne, kraule ich den halbierten, halb vergammelten Apfel, den er im Knopfloch trägt. In den Trümmern bemerke ich ein Auto mit losem Nummernschild: ¼ und ½, das mich irritiert.
Wir haben einen beschwerlichen Weg hinter uns. Als wir endlich vor einer Gartentür stehen, weiß ich, daß ich früher in dieser Straße gewohnt habe. Man teilt uns eine völlig verdreckte Schlafstelle in einer Toilette zu.
   Viele Leute warten an einer abschüssigen Straße auf den Bus, wir fragen nach einer Person, die wir hier erwarten, aber keiner kann uns Auskunft geben. Ich entferne mich, löse die Schleife aus meinem langen Haar und weiß, daß es in der Sonne wie Goldfäden hinter mir her weht.
Im Haus gegenüber befindet sich eine Bilderausstellung. Vor einem Bild bleibe ich interessiert stehen, das ein älterer Herr nicht versteht. Reste einer Jagdszene. Ich sah es zuerst auch anders. Wundere mich über meine plötzliche Fachkundigkeit, erkläre ihm geschickt, daß es ein toter Pinguinkopf und kein Frauenkopf (was ich zuerst auch annahm), ist. "Nein, das ist kein Fuchs oder Hund daneben, sondern eine Ente. Sehen Sie, wie eingefallen Brust und Unterteil sind!"
Die eingefallenen Tiergerippe ragen fröhlich bunt aus moorigem Ölfarbengrund heraus.
RESTE EINER JAGDSZENE
Zerfall, Todeshauch, so dekorativ dargestellt, stimmt es mich nahezu heiter, und der leichte Schleier einer Trauer bleibt nur als leise Ahnung in mir zurück.
   Später stehen viele Gäste abwartend herum, bilden Spaliere auf niedrigen Treppen. Ich stehe in einer Gruppe auf einem Podest, sehe plötzlich einen blonden Schopf, den ich mit Blicken verfolge. Sofort vermisse ich meinen Mann, der eben noch neben mir gestanden hat, entdecke ihn in einer Gruppe, die einen Halbkreis gebildet hat, neben dem Blondschopf.
Sie sind plötzlich verschwunden. Ich suche sie.
   Drei schwarz gekleidete Herren mit Zylinder, stehen immer noch gruppiert, dekorativen Schaufensterpuppen gleich. Rechts von ihnen steht immer noch die Frau mit dem Rücken zu mir. Sobald ich versuche, ihr über die Schulter zu sehen, wendet sie den Kopf in die andere Richtung. Wenn sie sich bewegt, wippt das weite, weiße Kleid beschwingt hin und her. Sie nimmt es graziös in die Hand und der herrliche Faltenfall leuchtet mit den kurzen, rotblond gelockten Haaren, wie tropfender Honig in der Sonne.


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