Eine Traumgeschichte von 1984/85, Teil 2

Maschinen, die ungeheure Mengen Wasserdampf, Stick-, Sauer- und Wasserstoff, Kohlendioxyd und andere Gase unablässig ausströmten, um bald die lebensnotwendigen Atmosphäre zu schaffen, wurden rund um den Mond, den sie nun doch nach einigem Hin und Her "MONDERDE" nannten, aufgebaut.
Zwei künstliche Monde schickten sie in die Umlaufbahn; geniale Köpfe erschufen Atom betriebene Sonnen, von denen sie zwölf benötigten, um ein angenehm warmes Klima auf der erdabgewandten Seite zu erzeugen.
So konnte sich die Atmosphäre rasch verdichten.
Einstweilen aber spielte sich das Leben, Treiben, Bauen und Pflanzen noch unter riesigen Glaskuppeln ab. Gärten, Gewässer und immer mehr Häuser entstanden unter ihnen.
Allerdings begann der Häuserbau auch schon außerhalb der geschützten Glaskuppeln. In Raumanzügen vollbrachten unzählige Handwerker die größten Wunder an Baukunst und Technik, während ununterbrochen Sauerstoff, Trinkwasser und Wasser hergestellt wurde. Aus den Verdampfungsanlagen quollen Kilometer hohe und breite Dampfwolken. Bis eines Tages die ersten Regentropfen auf die Mondoberfläche tröpfelten.

Die Menschen feierten ein großes Fest, zu dem sie alle wichtigen Persönlichkeiten von der Erde einluden: Kaiser, Könige, Fürsten, Politiker - natürlich mit ihren Frauen und Kindern.
Aber in ihrem Glück vergaßen sie, die wichtigen kirchlichen Würdenträger mit einzuladen.....

Die Menschen indess, allein gelassen von den wichtigsten Führungskräften, fühlten sich auf der Erde nicht mehr ganz wohl, zumal die Monderde-Gegner überhand nahmen. Es drohten also in Abwesenheit der Verantwortlichen, gewaltige Krawalle. Demonstrationen beider Seiten, verunsicherte das Volk. Wer versuchte, sich zurückzuziehen, dem zerschlugen die unaufhaltsam vorstoßenden und immer mächtiger werdenden Gegner das Eigentum.
Sie gingen soweit, Abschußrampen und Fabriken zu zerstören. Satelliten, die in Funkverbindung mit der Monderde standen, holten sie vom Himmel herunter; plünderten die unzähligen Fondskassen, durch die das Projekt vorangetrieben und erhalten werden konnte.
Eiligst zusammengestellte Spezialtrupps brachten die rebellierenden Monderd-Gegner in Gewahrsam.
Die verursachten Schäden wurden in Tag- und Nachteinsätzen repariert. Und ein Sondergericht verurteilte alle an der Demo beteiligten zur Strafversetzung auf die neue Erde, wo sie als Arbeitseinheit für noch unerschlossene Gebiete eingesetzt wurden.
Diese Männer und Frauen waren bald so begeistert, daß sie sich Häuser oder Wohnungen kauften, und ihre Familien zu sich holten, die sie durch lange Briefe von der Schönheit auf der Monderde zu überzeugen versuchten, was den meisten auch gelang. Einige blieben lieber auf der guten alten Erde; vor allem ältere scheuten einen Neuanfang, der viel Aufregung und Strapazen mit sich bringen würde.
Für junge Familien war die Umsiedlung ein willkommener Beginn; waren doch die Häuser, Wohnungen und Eigentumswohnungen preiswerter, moderner, komfortabler.

Die größten Krater hatten sich bald mit Wasser gefüllt; es wuchsen Meere, entstanden Flüsse, in denen supermoderne Kraterjachten schaukelten. Aus kleineren entstanden Kraterbäder, über denen Atomsonnen für ausgeglichene Wärme sorgten. Atomgespeiste unterirdische Bodenwärme, die zusätzlich auf den Feldern für gutes Gedeihen sorgte, beheizte die ofenlosen Häuser, durchzog das Monderdgestein, unterquerte große und kleine Krater.

Es passierte schon, daß sich der eine oder andere nicht einleben konnte, unter Angstzuständen, Alpträumen und Heimweh litt. Erdbeklemmung nannten die Ärzte diese neue Krankheit.
Täglich verkehrten große Passagierraketen, die Neuankömmlinge, Besucher, Staatsvertreter brachten, und Heimwehkranke wieder auf die Erde mit zurücknahmen.
Neugeborene, die auf der Monderde heranwuchsen, empfanden ihr Dasein wie andere jugendliche auf der Erde. Der Raketenbetrieb pendelte wie Busverkehr, telefonieren war nicht anders, als von England nach Australien oder von Deutschland nach Amerika. Monderdenkinder, die ihre Großeltern besuchten, empfanden die Erde als fremd und rückständig; Erdenkinder, die auf der Monderde ihre Ferien verbrachten, glaubten, im Paradies zu sein.

Breitflügelige, schattenspendende Satelliten umkreisen die der Erde zugewandte Seite, um die übergroße Sonnenhitze abzufangen, mit der ebenfalls nachts Wohnungen und Felder beheizt werden können.
Eines greift ins Andere. Wärme- und Kälteausgleich, Regen- und Trockenzeit, Blühen, Welken, Tag und Nach; Ordnung und System, an die die Menschheit seit eh und je gewöhnt ist.
Als es genug Wasser gab, holten Gärtner Bäumchen aus den Treibhäusern, um unermeßliche Wälder anzulegen.
Sehr rasch erhoben sie sich über Kraterrändern und Felsrücken. Zwischen Feldern, Gartenanlagen und Nadelgehölzen blühen Wiesenblumen, schwirren Exoten und alle bekannten erdheimischen Vögel und Insekten.
Die Menschen sind stolz auf ihre Leistungen, die sie noch nie und zu keiner Zeit so fest im Griff haben, noch nie so weit vorantreiben konnten. Eine Einmaligkeit, wie sie wohl in keinem Sonnensystem je erdacht oder erschaffen werden kann.
Darüber vergaßen sie aber ganz die eigentliche Ursache all ihrer Bemühungen.
Niemand dachte mehr daran, sich bei ihm, der Monderde zu erkundigen, wie er sich fühle, nun, da er den Baumwurzeln Halt in seinem Inneren gab; niemand erinnerte sich mehr seiner Wünsche, Mäuler grasender Viehherden auf frischen Rasenrücken wie streichelnde Hände zu fühlen; niemand vermutete unter den wassergeschwängerten Kratern Tränen, denn alle Menschen hatten die Zeit seiner Sandtränen längst vergessen.


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