Ein Hundeleben


Im Wartezimmer sitzt eine hübsche junge Frau, mit zwei schönen Hunden. Meine Dackelhündin, die ich im Vorflur Kranker Hund abstelle, rührt sich keinen Schritt weiter.
"Meine Hunde tun nichts, " sagt sie, "der Kleine kann ruhig reinkommen!"
Ich lege ihre Decke im Wartezimmer neben einen Stuhl uns stelle mich wartend in die Tür: "Na, komm!"

Es ist Sommer, wir laufen den Waldhang hinunter. Freudig schnaubend bleibt sie alle paar Meter angespannt stehen, wartet, ob ich auch ja nicht die Richtung ändere. Sobald ich nah genug bin, schießt sie übermütig, mit fliegenden Ohren zwischen den Baumstämmen davon und rollt sich wohlig brummend vom Wiesenrand weiter hinein ins hohe Gras.
Eine wogende Spur, der ich folge, wenn ich endlich aus dem Schutz der Baumreihen heraustrete ins grelle Sonnenlicht. Schützend halte ich die Hände über meine Augen. In der Ferne zwei Reiter; an der Au drüben, spielende Kinder; Autogeräusche von der Schnellstraße; Maulwurfshügel, um die sich eine lebende Grashalmspur bogenförmig schlängelt, plötzlich wieder ein wenig zurückraschelt, um sich dann weiter nach vorn zu fressen, einen Kreis schlagend, einen Haken ... "Wo bist du?"
Na hier, bellt es vergnügt! Ohren schleudern übers Gras, Pfötchen. Sie reckt sich, dreht sich stolz: Wau, siehst du mich - so hübsch bin ich! Noch einmal Ton geben, versinken; ich folge der Wellenbewegung. Wir laufen den breiten Weg über die Au - da drüben ist das Gras höher.
Die Kinder bauen Sperren. Ich setze mich, versinke, döse. Von Zeit zu Zeit taucht sie zwischen den Halmen auf - ein beruhigter Blick und weg ist sie wieder - nur die Ohren schweben noch einmal fröhlich winkend empor.
"Na komm, es wird Zeit nach Hause zu gehen!"
Wie ein Wiesel flitzt sie den Weg zurück .....

Sie rührt sich nicht vom Fleck. "Na komm!" locke ich noch einmal mit einem Blick auf die beiden Hunde, die nun ruhig sind und uns aufmerksam beobachten.
Ich trage sie auf ihre Decke, setze mich und streichle sie beruhigend .....

Wir sind bei Bekannten, als die Kinder aufgeregt ins Telefon schreien: "Mama, Mama, komm ganz schnell nach Hause, der Hund stirbt!"
Er rührt sich tatsächlich nicht, ist heiß und atmet schwer. Eine kurze Freudenwelle zuckt durch ihren Körper, als ich mich über sie beuge, der Kopf, den sie mühsam zu heben versucht, sinkt auf die Fliesen.
Die Röntgenaufnahme ergibt: irgendetwas steckt im Darm! Spritzen, kurzes Aufflackern der Fresslust. Aufpassen ob was rauskommt bis zum nächsten Tag. Nichts ereignet sich. Operation!

Ein Pfirsichstein, um das Dreifache aufgequollen, hatte den Darm blockiert.
Das Interesse an der Umwelt erwacht nach Stunden, als es klingelt - Bewegung geht durch den Körper, unbeholfen. Ein brüchiger Bellversuch fällt schwer auf die Decke, ein Seufzer, die Lider klappen zu .....
Drei Tage teelöffelweise Fencheltee von einer Untertasse - das wirkt kühlend, sie schleckt lange, streckt sich wieder dankbar aus .....

Ein winziges braunes Knäul mit allerliebstem Gesicht, liegt in der Armbeuge seines Freundes. Mein Mann steht in Deckung, lauernd hinter ihm. Vorsichtig schiebt er seinen Kopf um den schützenden Vordermann: "Mama, guck doch mal, was ich dir mitgebracht habe - ist der nicht goldig!?" Er wagt sich nun tatsächlich nach vorn, will Erklärungen abgeben ...
Aber ich höre nicht weiter hin, Das kleine braune Knäul rennt schnüffelnd durch die Zimmer, beschlagnahmt sofort die Schublade, die ich mit einer Decke ausgelegt habe,erobert den Wasserteller. Erobert uns alle!

Als dann plötzlich ein Geschwür nach dem anderen am Bauch hervorquoll. Gesäugetumore: Operation, von der sie sich genauso schnell erholte, wie von der ersten mit dem Pfirsichstein, der im Schnapsglas klein und kümmerlich vor sich hinschrumpelt. Kaum zu glauben, daß er einmal soviel Kummer verursachte .....
Schweratmend verfolgen ihre Augen jede meiner Bewegungen. Im September wurden die Gesäugetumore auf der anderen Seite auch entfernt, heute, drei Monate später, gibt es keine Rettung mehr .....
Der Arzt erscheint mit einer Spritze. "Die bekommt sie zur Beruhigung, damit sie nachher nichts davon merkt, "beruhigt er mich und verschwindet wieder in der Praxis.
Ich streichle sie, und rede leise mit ihr.
Plötzlich erhebt sie unruhig ihren Oberkörper, als suche sie etwas - vielleicht Wasser? Dann beugt sie sich vor, der ganze Körper bebt und würgt. Sie wirft den Kopf hoch, gibt einen langen, röchelnden Ton, bäumt sich noch einmal keuchend auf und fällt zur Seite.
"Sie erstickt ja!" schreie ich. Es dauert eine Ewigkeit, bis die Arzthelferin erscheint.
Ich schreie und schreie, während sie sich krümmt und leise röchelt. Die Arzthelferin krault hinterm Ohr.
"Der Arzt hatte von einer Beruhigungsspritze gesprochen! - ist sie tot?"
"Nein, sie ist nicht tot, sie schläft."
So wie sie daliegt, muß sie tot sein. ich spüre ihr Herz, es scheint sich davonzuschlagen. Sie krümmt sich schwach.
In der Tür erscheint der Arzt, horcht sie ab: "...nein, sagt er, "sie ist tot," und kneift in eine Pfote. "Sehen Sie, sie merkt nichts!"

"Was machen Sie jetzt mit ihr?"
"Ja - , - Sie können sie hierlassen, dann wird sie abgeholt - , - Sie können sie aber auch mitnehmen!"
"Was soll ich denn machen?"
"Ja sehn Sie, die meisten lassen ihre Tiere hier!"
Er hebt sie hoch. "Die Decke können Sie wieder mitnehmen!" ...

"ABER IHR HERZ SCHLÄGT NOCH !" .....


Anfang Januar 1988


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