Der Grapscher


Eduard war ein großer stämmiger Mann. Klar, daß er seine Kräfte überall ausprobieren mußte; denn, was nützt die größte Größe, die stärkste Stärke und die kräftigste Kraft, wenn ..... ?
Dieser Eduard tyrannisierte seine kleinen Untertanen so fürchterlich, daß seine Veronika beschloss, ihm gehörig das Grapschen abzugewöhnen.
Bat er um etwas, oder reichte man ihm einen Brief, eine Blume, ein Stück Kuchen oder sonstwas, riß er es dem Überbringer mit einem grapschenden, lieblosen Zupacken aus der Hand und weidete sich sichtllich an dessen Entsetzen.
Seine Veronika wußte sich keinen Rat, außer manchmal über sein blödes, verletzendes Gebaren zu weinen. Verständlich auch ihr Wutgeschrei oder zorngeschwellte Fausthiebe zwischen Tellerstapel und Tassentürme, wenn der Ärger und die Hilflosigkeit ihr gerade wieder die Luft zum Atmen nahm.

Ihm das abzugewöhnen, das war zwar beschlossen, aber nach ein paar leidlichen Bemühungen mußte sie sich resignierend eingestehen, daß er es einfach nicht lassen konnte!
Da war dieser aufzuckende Greifmechanismus aus-der-Schulter-heraus-bis-in-die-Fingerspitzen, der, geriet er in Tätigkeit, seinen ganzen Körper erzittern ließ, seinen Kopf ruckartig zur Seite riß - nur so weit natürlich, daß er die Reaktionen der Beute seiner Attacken nicht aus den Augen verlor.
Dann schwelgte er in seinem Vergnügen!
Natürlich blieb von der ungeheuren Kraft für die gerade freie Hand, noch genug für eine gezielte Kopfnuß seines Gegenübers übrig.
Das mußte ihm schon der blanke Neid lassen: Kraft besaß er!

Nur durch einen Zufall, wie solche Dinge eigentlich immer geschehen, wenn sie nur lange genug geschehen sind, riß Veronika ihrem Eduard den zuckenden Reißmechanismus, wenn auch nicht sofort, so doch schon sehr bald heraus .....
Es begann damit, daß sie - eigentlich nur aus Bequemlichkeit, um sich nicht umständlich erheben zu müssen - seine Brotscheibe auf der Messerspitze über den Tisch balancierte. Manchmal kam er ihr zuvor, schnappte - schwupp, wie ein zuckendes Reptil danach.
Nur bei Suppe, ja bei Suppe zog er den Teller so behutsam tätschelnd. Und sie dachte - wie, wenn es nur noch Suppe gäbe? Aber w-a-s-s-e-r-d-ü-n-n-e! - und sah fast sehnsüchtig auf den zärtlichkeitsumhätschelten Teller.

Eines Tages, Veronika bereitete wieder das Frühstück, sagte Eduard, sie solle ihm doch von der Wurst eine Scheibe abschneiden. Was sie sogleich tat, und balancierte mit ihr hinüber ... aber noch bevor sie seinen Teller erreichte, grapschte er mit einer ungeheuer schlagenden Bewegung danach, daß das Messer sich durch die Knochen quetschte.
Da begann sie, ihm alles, aber auch alles, was sich auf einer Messerschneide transportieren läßt, zu überreichen. Behutsam, fast zärtlich nahm er mit der gesunden Hand (lief manchmal nicht ein Zucken durch???) was ihm gereicht wurde, hatte sogar Zeit für ein flüchtiges, verbindliches Lächeln.

ABER SCHON NACH EIN PAAR TAGEN:

Veronika kann ihren bandagierten Eduard sogar mit dem Löffel füttern - ganz sanft schiebt er sein Mäulchen diesem entgegen ... ...


Anfang der 80er


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