DIE KLEINE FLEDERMAUS UND DIE ROSE


Eines Morgens erwachte eine kleine Fledermaus von der Sonne geblendet in einem Meer aus Rosenduft.
An der Grenze des Erwachens fühlte sie sich in einem betäubenden Duft schwimmen. Vorsichtig öffnete sie die Augen, gewahrte, daß sie nicht wie sonst im Fels hing, sondern an einem Ast, draußen im Freien.
  Jetzt sah sie auch, daß sie durch die Zweige eines hohen Baumes gefallen war, bis der letzte Ast sie abgefangen hatte.
Die Sonne blendete sie. Aber der flammendrote Sonnenball konnte nicht so duften, das wußte sie. Obwohl sie nicht wußte, wie die Sonne duftet, wußte sie es. Sie drehte langsam den Kopf, sah den Rasen unter sich schaukeln, spürte ein Kitzeln am linken Ohr und blickte unvermutet in eine rote, taubenetzte Rose. - Ach!
  Die Rose, die sich sanft im Traume wiegte, öffnete sich erschrocken, vernahm das zarte Streicheln des spitzen Ohres, fröstelte unter dem Schatten des Körpers, der über ihr hing und ein wenig von der Sonne von ihr nahm. - Was kratzt du mich?
Ich kratze nicht! Du hast mich mit deinen Armen berührt, hast mich aus meinen Träumen gerissen, hast mich in deinem Duft ertränkt! Sie grub ihre Krallen fester in den Ast.. Wütend verharrte sie, machte sich steif, überlegte, wie sie hierher gekommen war.
Plötzlich fiel ihr ein, daß sie auf der Suche nach ihrem Echolot die Gewalt über ihren Körper verloren hatte, gerade, als sie eine Schulklasse bei einer Nachtwanderung erschreckt hatte. Nach dem dumpfen Aufschlag fühlte sie sich auch noch von zwei Händen gepackt, blinzelte in viele Gesichter, die sich neugierig über sie beugten, sie, die reglos in einer geöffneten Hand lag.
  Viele Hände griffen nach ihr, jeder wollte sie befühlen. Die Flügel wurden ihr hochgehoben, Finger stippten gegen die Ohrspitzen, als wollten sie prüfen, ob sie aus Gummi seien. An den Flughäuten wurde herum gezupft, getestet, ob sie nicht zerreißbar wären.
  Als die Betäubung endlich gewichen war, versuchte sie mit raschen Bewegungen zu entkommen. Die überraschten Gesichter der Kinder wichen ängstlich vor ihren hastigen Flügelschlägen zurück.
  Sie erinnere sich ihres klammen Körpers, der Kälte der Nacht und wurde sich schmerzlich des Verlustes ihres Echolots bewußt ..... und daß sie wie ein Stein abwärts stürzte, nachdem sie mit ein paar Schlägen ungelenkt über den Köpfen der Kinder herum getorkelt war, nachdem sie sich vor den nachgreifenden Händen und den wilden Schreien schon so sicher gefühlt hatte.
  Sie dachte an den Papierdrachen, den sie einmal beobachtete, der sich wild um seinen Schweif drehte und mit ungeheurer Kraftanstrengung versuchte, zurück zu den Wolken zu fliegen, aber schließlich doch hart auf dem Acker aufschlug und sich das Genick brach. Ein plumpes Gespenst mit grinsenden Augen, hatte sie gedacht, und er hatte ihr leid getan wegen seiner Ungeschicklichkeit.
..... mit letzter Anstrengung schaffte sie es, den Sturz etwas abzufangen. Sie sauste durch etwas Peitschendes, Schlagendes hindurch und blieb mit den Krallen irgendwo in der Dunkelheit hängen.
Der Schreck saß ihr so in den Gliedern, daß sie nicht wagte, sich zu rühren. Und sie dachte, das Beste wird sein, ich verhalte mich ganz still, bei Tagesanbruch werde ich schon sehen, wo ich bin ... Erschöpft schlief sie schließlich ein ...
  Und nun dies! Dieser Anblick!
Sie spürte, daß sie hier ewig bleiben würde, ewig! Nie wieder wollte sie nach ihrem Echolot suchen, nie wieder wollte sie in die Höhle zu den anderen zurückkehren. Hier, über diesem Duft wollte sie schwingen, hinein tauchen. - Rose, wunderschöne Rose, den Rest meines Lebens werde ich dir zu Füßen liegen!
Die Rose war erbost: Zu Füßen!? Du verdeckst mir den Himmel, nimmst mir die Sonne! Wie soll ich meine Schönheit erhalten, wenn du sie mit deinem Schatten verdunkelst!
  Eines Morgens erwachte eine kleine Fledermaus, von der Sonne geblendet, in einem Meer aus Rosenduft, trank Tau von den Lippen der schönsten Rose und macht sich gestärkt auf den Weg, nach ihrem Echolot zu suchen.


8.Juni 1985; "Kieler Nachrichten" Nr. 131


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